In diesem Blogbeitag findest du heraus:
- Was Bindungsvermeidung ist und wie du sie im Alltag bei dir und/oder deinem:r Partner:in erkennst.
- Warum sich emotionale Nähe bedrohlich anfühlen kann.
- Wie du dich von alten Beziehungsmustern löst, um neue Beziehungserfahrungen zu machen – ohne dich selbst zu überfordern.
Was ist Bindungsvermeidung?
Bindungsvermeidung ist keine Charakterschwäche, sondern eine unbewusste Strategie. Sie entwickelt sich früh in der Kindheit, meist als Reaktion auf wiederholte emotionale Enttäuschung (Bindungstheorie von John Bowlby und Mary Ainsworth).
Kinder, deren Gefühle nicht gesehen oder beantwortet werden, lernen: “Ich darf mich nicht zeigen, wie ich bin”. Sie zeigen oft wenig sichtbare Emotionen und wirken nach Außen oft strak und unabhängig. Innerlich aber steht ihr Nervensystem unter Hochspannung: Trotz äußerer Ruhe ist ihr Cortisolspiegel erhöht. Das bedeutet ihr Körper reagiert intensiv auf Stress, selbst wenn das Umfeld nichts merkt.
Das Kind zieht daraus einen nachvollziehbaren Schluss: “Nähe ist unsicher. Ich verlasse mich besser auf mich selbst”. Gefühle werden zurückgehalten, Nähe gemieden, die Überzeugung, dass man sich nur auf sich selbst verlassen kann, verfestigt sich. Diese Haltung bleibt oft bis ins Erwachsenenalter bestehen – unbewusst aber wirkungsvoll.
Historischer Kontext: In Deutschland wurde diese „stille Stärke“ lange als positiv und wünschenswert bewertet. Emotionale Selbstständigkeit wurde idealisiert – ein Erbe aus autoritären Erziehungsidealen, das bis heute viele Menschen unbewusst prägt.
Wie sich Bindungsvermeidung im Alltag zeigt
Bindungsvermeidung hat viele Gesichter. Sie zeigt sich oft subtil in kleinen Momenten:
- Gerade war da noch diese tiefe Verbindung – und plötzlich ist da nur noch Distanz. – Nach einem besonders schönen Moment, einem tiefen Gespräch oder einem Gefühl von Verbundenheit mit der Partnerin oder dem Partner folgt plötzlich Distanz.
- Distanz wird begründet – Aussagen wie „Ich brauche viel Zeit für mich“ oder „Ich habe momentan nicht den Kopf für eine Beziehung“ klingen plausibel, dienen aber oft dem Selbstschutz.
- Unabhängigkeit als Schutzschild – Sätze wie “Ich will mich nicht in einer Beziehung verlieren” äußern den Wunsch nach Freiheit. Hinter der Angst vor Abhängigkeit steckt oft die Angst vor Verletzlichkeit.
- Gefühle bleiben unausgesprochen – Nicht, weil sie nicht existent sind – sondern weil sie sich für den Bindungsvermeidenden bedrohlich anfühlen.
Psychologischer Hintergrund: Wenn Nähe entsteht, reagiert das Nervensystem wie auf Gefahr. Der Sympathikus wird aktiviert, der Körper geht in Alarmbereitschaft. Das erklärt, warum der Impuls zum Rückzug so stark ist. Mehr erfahren – hier klicken.
Fallbeispiel aus der Praxis:
Anna (26) ist zufrieden mit ihrem Leben, beruflich erfolgreich und hat viele Freunde. In Beziehungen aber zieht sie sich regelmäßig zurück, wenn es ernst wird: „Sobald ich jemanden kennenlerne, habe ich Angst, meine Freiheit zu verlieren.“. Nach anfänglicher Verliebtheit überkommt sie oft ein Gefühl der Angst – ihr Partner spürt Distanz, Anna spürt Panik.
Dieses Verhalten ist typisch für bindungsvermeidene Menschen:
Nähe wird als Belastung empfunden – nicht, weil sie keine Nähe wollen, sondern weil sie gelernt haben, dass Nähe Unsicherheit bedeutet, obwohl eigentlich das Gegenteil der Fall ist.
Wenn Nähe triggert – typische Muster erkennen
Nähe? Ja, aber nur mit Sicherheitsabstand.
In der Theorie klingt es einfach: Eine gesunde Beziehung, Nähe, Vertrauen, sich fallenlassen. In der Praxis sieht es aber oft anders aus. Besonders, wenn alte Bindungsmuster im Hintergrund ablaufen – ohne dass man es gleich merkt.
Typisch für Menschen mit vermeidendem Bindungsstil: Sie wollen Nähe, aber sobald es ernst wird, springt ihr inneres Schutzprogramm an:
- Die andere Person wird plötzlich „zu viel“.
- Verbindlichkeit erzeugt Enge und den Wunsch nach Distanz.
- Dinge, die eben noch schön waren, wirken bedrohlich.
Innere Überzeugungen sabotieren deine Beziehung – unbewusst
Innere Überzeugungen sind tief in unserem Unterbewusstsein verwurzelt, deswegen bemerken wir gar nicht, dass sie da sind:.
- “Wer sich anderen öffnet, wird verletzt”.
- “Schwäche zu zeigen ist bedürftig”.
- “Jemanden zu vertrauen, macht mich angreifbar”.
- “Ich verliebe mich nur, wenn es aussichtslos ist”.
Diese Sätze wirken wie Wahrheiten. Tatsächlich sind sie alte Selbstschutzstrategien. Entstanden aus Erfahrungen, nicht aus Fakten.
Dating-Apps & Bindungsvermeidung
Swipen, Matchen, Ghosten: Dating-Apps machen es leicht, sich nicht festzulegen. Besonders für Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil. Die Auswahl scheint grenzenlos. Wer Nähe meidet, findet dort die perfekte Ausrede: “Es hat einfach nicht gepasst”.
Typische Gedanken:
- “Ich habe gerade keinen Kopf für etwas Festes”
- “Es hat sich irgendwie nicht richtig angefühlt”.
- “Ich brauch erstmal Abstand und Zeit für mich”.
Und ein paar Minuten später ist die App wieder offen.
Studienlage: Laut Psychology Today nutzen viele mit vermeidendem Bindungsstil Apps nicht zur Partnersuche – sondern zur Ablenkung. Es geht nicht um Verbindung, sondern um Kontrolle.
Impulse zur Reflektion – Frage dich…:
- Nutzt du die App aus echtem Interesse – oder um dich abzulenken?
- Lässt du dich bewusst auf andere Menschen ein – oder suchst du nur nach einem kurzen “Nähe-Kick”, der genauso schnell wie er begonnen hat wieder endet?
Was hilft, wenn Nähe dich triggert
- Ehrlich hinschauen
Frag dich:
Wann ziehe ich mich zurück?
Was genau macht mir Angst?
Welche Situationen lösen den Alarm aus, mich zurückziehen zu wollen?
- Selbstmitgefühl statt Selbstkritik
Bindungsvermeidung ist eine Schutzstrategie, kein Fehler. Du hast getan, was dir möglich war. Jetzt darfst du Neues ausprobieren.
- Sicherheit entsteht im Nervensystem
Körperorientierte Ansätze helfen:
Atemtechniken
Somatic Experiencing
Meditation
Das Ziel: Dein System beruhigt sich. Dann wird Nähe weniger bedrohlich. - In Beziehungen lernen
Nichts heilt Bindungsangst allein im Kopf. Heilung entsteht durch echte Verbindung. In Gesprächen, in kleinen Momenten von Vertrauen. Schritt für Schritt.
Hilfe annehmen
Therapie oder Online-Kurse sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut. Besonders bindungsorientierte Ansätze können hilfreich sein.
Fazit
Bindungsvermeidung bedeutet nicht, dass du beziehungsunfähig bist. Sie bedeutet: Du schützt dich. Und dieser Schutz darf sanfter und liebevoller werden. Was in früheren Beziehungen sinnvoll war, steht heute vielleicht unbewusst im Weg. Doch das Gute ist: Bindungsmuster müssen kein fester Bestandteil deiner Persönlichkeit sein. Sie lassen sich verstehen – und verändern.
Wenn du dich wiedererkennst: Du musst das nicht allein schaffen.
In der Stefanie Stahl Akademie findest du Impulse, Kurse und Austausch – für deinen Weg hin zu einem sicheren Bindungsstil.
Hier geht’s zum Online-Kurs: “Bindungsangst überwinden”. Oder lies das Buch „Jein!“ von Stefanie Stahl– ein ehrlicher, gut verständlicher Einstieg in das emotionale Hin und Her zwischen Nähe und Rückzug.